© 2007 - NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung bzw. gekennzeichnete AutorInnen / Institutionen
Beitrag des Online-Flyers Nr. 113 vom 19.09.2007.
„Wertvolle Impulse“
Von Hans Georg
Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, warnt vor Vergleichen zwischen staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen während der NS-Zeit und heutigen Methoden der Polizeirepression. Anlass ist eine Tagung über die Vergangenheit mehrerer BKA-Gründer aus dem Terrorsystem des Deutschen Reichs. Wer „Begrifflichkeiten aus der NS-Zeit und aus der DDR-Geschichte" heute anwende - „beispielsweise ,Präventionsstaat' oder 'Überwachungsstaat'" - relativiere die „Leiden der Opfer", behauptet der BKA-Chef und versucht so, offen liegende Kontinuitäten bei der beispiellosen aktuellen Ausweitung polizeilicher Überwachung aus den historischen Zusammenhängen zu lösen.
Aufklärung
Wie das BKA auf Anfrage bestätigt, findet am 20. September das zweite von drei Kolloquien statt, in denen die Geschichte der Wiesbadener Polizeibehörde behandelt werden soll. Präsident Ziercke zufolge geht es um personelle, organisatorische und ideologische Einflüsse der NS-Polizeiapparate auf Neugründungen in der Bundesrepublik. Ziercke gibt unumwunden zu, dass hochrangige Beamte seiner Behörde in NS-Verbrechen verwickelt waren. "Ich sehe aber, dass Ende der sechziger Jahre, Anfang der siebziger Jahre viel Altes über Bord geworfen wurde", behauptet der BKA-Präsident.[1] Kritik an der beispiellosen gegenwärtigen Ausweitung polizeilicher Kompetenzen weist Ziercke zurück: Wer Begriffe wie "'Überwachungsstaat' oder 'Schnüffelstaat'" benutze, stelle "unsere heutige Polizei in die Nähe der nationalsozialistischen Polizei oder anderer totalitärer Staaten" und "relativiere (...) das totalitäre diktatorische Regime der NS-Zeit". Demnach haben kritische Äußerungen über die staatliche Durchdringung stets neuer Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu unterbleiben, weil diese Kritik auch auf frühere NS-Methoden zutreffen könnte.[2]
BKA-Chef Ziercke: „Viel Altes über Bord geworfen.“ Quelle: www.bmi.bund.de
Abklatsch
Bereits seit Jahren ist bekannt, dass es sich bei dem 1951 auf Geheiß des (west-)deutschen Bundesinnenministeriums gegründeten BKA um einen unmittelbaren "organisatorischen Abklatsch" des Reichskriminalpolizeiamtes (RKPA) aus dem vormaligen NS-Reich handelte. Das RKPA war Teil des von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich geschaffenen Reichssicherheitshauptamts (RSHA), der Terrorzentrale NS-Deutschlands. Fast das gesamte Führungspersonal der Nachkriegsbehörde hatte zuvor Dienst im RSHA versehen, unter den 47 leitenden Beamten der Gründungsjahre befanden sich 33 teilweise hochrangige ehemalige SS-Offiziere. Auf ihr Konto gingen Tausende von Morden an Juden, Sinti und Roma, so genannten Asozialen, Zwangsarbeitern und Oppositionellen in Deutschland und in den von der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten.[3]
Repräsentativ
Als repräsentativ kann in diesem Zusammenhang die Biographie des BKA-Präsidenten der Jahre 1955 bis 1964 gelten. Der Jurist Reinhard Dullien, Jahrgang 1902, trat 1933 der NSDAP sowie der SS bei und brachte es in der Verwaltung Ostpreußens bis zum Regierungsdirektor. Im Herbst 1941 wurde er Leiter der "Hauptabteilung III" des sogenannten Generalkommissariats Wolhynien und Podolien in der von deutschen Truppen besetzten Ukraine; fortan war er für die ökonomische Ausplünderung des Gebietes sowie für die Rekrutierung von Zwangsarbeitern zuständig. Über die Methoden, die Dullien anwandte, um Arbeitssklaven nach Deutschland zu schaffen ("Arbeitskräftewerbung"), heißt es in einem Bericht seiner Dienststelle: "Die Werbung in Wolhynien zeigt immer das gleiche Bild, dass die Bewohner beim Erscheinen der Werbekommission geflüchtet sind, da die vorhandenen Polizeikräfte nicht ausreichen, um die einzelnen Dörfer überfallartig zu besetzen." Als "Strafmaßnahmen" des späteren BKA-Präsidenten gegen die unbotmäßige Landbevölkerung werden aufgeführt: "Wegnahme des Viehs, Geldbußen und Niederbrennung der Gehöfte".[4]
Cartoon: Lurusa
Folterkooperation
Wie Kritiker urteilen, sind Traditionen der NS-Polizei im BKA nach wie vor lebendig. Nach Beobachtung des ehemaligen BKA-Kriminaldirektors Dieter Schenk, der bis 1989 in der Behörde arbeitete, kommt es deswegen zu einer nur nachlässigen Bekämpfung des Rechtsextremismus und zu einer intensiven Zusammenarbeit mit Staaten, in denen gravierende Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Laut Schenk wurden allein 1988 "130 Besucher aus Folterstaaten und 18 aus solchen mit Todesschwadronen in allen Ehren im BKA empfangen"; dort besprach man mit ihnen die Modalitäten deutscher Unterstützung für die ausländischen Folterbehörden ("Ausstattungshilfe"). Im entsprechenden Programm für die Jahre 1995 bis 1998 sind demnach "27 Länder aufgeführt, von denen 23 im Jahresbericht (von Amnesty International, d. Red.) genannt werden, 15 von ihnen als Folterregimes teils schlimmster Natur". Diese "Geschäftsbeziehungen" des BKA, erklärt der Kriminalist, dienten "nicht selten" dazu, "kapitalkritische Gewerkschaften und Umweltschützer aus dem Weg zu räumen".[5] Konkrete Vorwürfe ähnlicher Art, die sich auf Kooperationen mit libanesischen Behörden beziehen, erhoben jüngst auch andere BKA-Mitarbeiter.[6]
Bundeskriminalamt - Traditionen der NS-Polizei hier immer noch lebendig Quelle: Wikipedia
Kein Völkerrecht
Historische Kontinuitäten sind bei einer weiteren deutschen Polizeibehörde auffällig: beim Bundesgrenzschutz (BGS, heute: Bundespolizei), einem Apparat, der am 16. März 1951 - dem Jahrestag der Wehrmachtsgründung - unter mehrheitlicher Mitwirkung von Wehrmachtsangehörigen ins Leben gerufen wurde. Wie der Grenzschutzbeamte Ulrich Wegener kürzlich bekannt hat, leiteten ihn "wertvolle Impulse" der NS-Geheimdienstdivision "Brandenburg", als er 1972 die BGS-Spezialeinheit GSG 9 gründete. Wegener zufolge handelte es sich um "Impulse" für die operative Praxis - hinsichtlich "unkonventioneller Vorgehensweisen", "Raffinesse" und "Gegnertäuschung".[7] Die impulsgebende "Division Brandenburg" soll "eine der brutalsten" der Wehrmacht gewesen sein.[8] Ende Juni 1941 etwa nahm sie an einem Massaker von SS-Einsatzkommandos und ukrainischen Nationalisten im besetzten ukrainischen Lviv (Lemberg) teil, bei dem 4.000 Juden ermordet wurden.[9] Über die Aktivitäten der Vorbild-Einheit heißt es: "Es waren Aktionen, die weder Vertrag noch Konventionen des Völkerrechts kannten."[10]
Lesen Sie auch unsere Rezension von Dieter Schenks Buch „Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA“ in dieser Ausgabe. (PK)
- [1] "Internet kein Raum ohne Strafverfolgung"; Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.09.2007
- [2] Das Bundeskriminalamt diskutiert seine Geschichte. Einführungsvortrag von BKA-Präsident Jörg Ziercke am 8.August 2007
- [3] Dieter Schenk: Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA, Köln 2001
- [4] Dieter Schenk: Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA, Köln 2001. S. auch Nationalrat derNationalen Front des Demokratischen Deutschland/Dokumentationszentrum der staatlichen Archivverwaltung der DDR (Hg.): Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik. Berlin (DDR) 1965
- [5] Dieter Schenk: Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA. Köln 2001
- [6] s. dazu Täuschen und lügen, Die Folterer, Und warten noch immer und Praktische Unterstützung
- [7] Reinhard Günzel/Wilhelm Walther/Ulrich K. Wegener: Geheime Krieger. Drei deutsche Kommandoverbände imBild, Selent 2007
- [8] "Division Brandenburg" - Hitlers Terror-Einheit; www.mdr.de/artour/archiv/1546161.html
- [9] Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, München 1995
- [10] "Division Brandenburg" - Hitlers Terror-Einheit; www.mdr.de/artour/archiv/1546161.html
Mehr: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56997 Kontakt: http://www.nrhz.de
info@nrhz.de