Auch wenn Europa heute meist als eine Idee präsentiert
wird, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, so gab es sie doch schon
vorher. Auch im Nationalsozialismus, der die in den Anfangstagen
gepflegte Autarkielehre während des Zweiten Weltkrieges zugunsten der
eines Europas unter deutscher Führung aufgab.
1943 erschien ein vom damaligen Wirtschaftsminister
Walther Funk herausgegebenes Buch mit dem Titel Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft[1], in dem es unter
anderem um die Abschaffung von Zöllen in einem europäischen Binnenmarkt,
Landwirtschaftssubventionen, eine Einheitswährung und den Ein- oder
Ausschluss der Türkei geht. Alles Fragen, die auch in der EU und ihren
direkten Vorläufern eine Rolle spielten und spielen.
Europa 1941/42. Karte[1]: San Jose[2]. Lizenz: CC BY-SA 3.0[3]. |
Im von Joachim von Ribbentrop[2] geführten Außenministerium konkretisierte Heinz von Homeyer diese Pläne in seiner Denkschrift Die Kriegsentscheidung - Der Gedanke Europa.1
Sein Entwurf einer Europäischen Konföderation umfasst insgesamt 13
Staaten und sollte unter Führung Deutschlands und Italiens stehen.
Benito Mussolini stimmte dem Vorhaben in seinem Manifest von Verona[3] grundsätzlich zu. In Frankreich ließ man währenddessen zur Stimmungsmache den Juraprofessor Friedrich Grimm[4]
Propagandavorträge über die europäische Einigung abhalten, bei denen am
Schluss sowohl die Marseillaise als auch das Deutschlandlied gesungen
werden mussten.
Eine wichtige Rolle in den nationalsozialistischen
Europaplänen spielte die Idee einer "Festung Europa", die es gegen
"asiatische Horden", Bolschewisten und "Yankee-Gangster" (Alfred
Rosenberg)[5] zu verteidigen galt. Heute
münden Erklärungen, warum die EU alternativlos sein soll, ebenfalls
verdächtig oft in eine reflexhafte geopolitische Gegnerschaft zu den
USA, Russland oder China.
Dass Europa - ebenso wie die Autobahnen2
- (auch) eine nationalsozialistische Idee ist, muss jedoch nicht
zwangsläufig heißen, dass sie schlecht ist. Aber es sollte zu Denken
geben, ob das Projekt weiterhin so sakralisiert werden muss wie bisher.
Selbst, wer nur einzelne Auswüchse hinterfragt, stößt sehr schnell an
Tabus: So ging es Peter Gauweiler, als er das undurchsichtige
Verfassungsvertragswerk und die ständigen Rettungsschirme kritisierte.
Und so ging es dem alten Bürgerrechtsliberalen Burkhard Hirsch, der
unlängst in einem offenen Brief an die FDP-Basis[6] warnte, der Frieden in Europa sei weniger durch mangelnde "Rettungspläne" gefährdet, als durch "zentralistische Lösungen".
Wenig offenen Widerspruch löste dagegen bisher die von Angela Merkels im September[7]
aufgestellte Behauptung aus, der Euro sei ein "Friedensprojekt", weil
Länder mit gemeinsamer Währung keine Kriege gegeneinander führen würden.
Gegenbeispiele dazu kennt die Geschichte zuhauf. Und die nationalen
Ressentiments scheinen mit der Europapolitik der letzten Monate und
Jahre nicht ab-, sondern deutlich zugenommen zu haben:
In Deutschland entdeckten große Teile der Presse wieder den faulen Südländer und das "perfide Albion"[8].
Im Rest Europas übernahm man dafür die bislang vor allem von der
britischen Boulevardpresse gepflegte Tradition, Deutsche mit
nationalsozialistischen Utensilien darzustellen: In Frankreich malt man
Angela Merkel mit Pickelhaube und in Italien, dem Land der Lagerfilme[9]
gleich in SS-Uniform, mit Zweifingerbart und unter der Überschrift
"Heil Merkel". In Canal+ ruft die Puppenkarrikatur der Kanzlerin das
auch in Frankreich bekannte deutsche Wort "Arbeit!", während Nicolas
Sarkozy deutsche Panzer ins Land lässt. Und in Polen forderte die
Opposition ein ein Staatstribunal für Außenminister Radoslaw Sikorski[10], weil der meinte, er fürchte die "Untätigkeit" des westlichen Nachbarn mehr als dessen Machtstreben.
Anhang
Fußnoten
1)
Homeyer, Heinz von: Die Kriegsentscheidung - Der Gedanke
Europa. In: Denkschrift zur Neugestaltung der Verwaltung in den
besetzten Ostgebieten. Berlin 1944.
Die Autobahnen wurden zwar schon in den 1920er Jahren
"erfunden", aber die Nationalsozialisten forcierten nicht nur deren Bau,
sondern schlachteten ihn auch propagandistisch intensiv aus.
Links
[1]
http://opacplus.bsb-muenchen.de/search?oclcno=163085558
http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Second_world_war_europe_1941-1942_map_de.png&filetimestamp=20050822133109
http://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:San_Jose
http://www.heise.de/tp/artikel/31/31474/1.html
http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de
http://endstation-rechts.de/index.php?option=com_k2&view=item&id=3468:das-
http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Grimm_%28Jurist%29#Grimms_Rolle_im_besetzten_Frankreich
http://opacplus.bsb-muenchen.de/search?oclcno=644311469
http://www.freiewelt.net/nachricht-8598/fdp-mitgliederentscheid%3A-offener-brief-von-sch%E4ffler-und-hirsch.html
http://www.tagesspiegel.de/politik/merkel-deutschland-geht-es-so-gut-wie-nie-zuvor/4584808.html
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36070/1.html
http://www.heise.de/tp/artikel/15/15130/1.html
http://www.welt.de/politik/ausland/article13743895/Polens-Opposition-warnt-vor-Viertem-Reich.html
Artikel URL: http://www.heise.de/tp/artikel/36/36081/1.html
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